Pflichtteilsrecht „schlägt“ Vermächtnis - Zur Höhe des Pflichtteilsanspruchs

Im zu entscheidenden Fall macht die Klägerin Pflichtteilsansprüche geltend.

 

Die Erblasserin bestimmte die Beklagte testamentarisch zu ihrer Erbin. Im Nachlass befand sich u. a. eine Immobilie (Wert: 291.000,00 Euro).

 

Weiterhin verfügte die Erblasserin vorrangig zugunsten der Beklagten und deren Ehemann und nachrangig zugunsten der Tochter der Beklagten im Wege des Vermächtnisses ein lebenslanges Wohnrecht.

 

Die Parteien streiten darüber, ob ein testamentarisch eingeräumtes lebenslanges Wohnrecht bei der Berechnung des der Klägerin zustehenden Pflichtteils in Abzug zu bringen ist oder nicht. Im Pflichtteilsstreit argumentierte die beklagte Erbin damit, dass der reale Nachlasswert durch die rechnerischen Vermächtnispositionen aufgezehrt werde. Demnach bestünde kein Pflichtteilsanspruch. Das Berufungsgericht bestätigt aber die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichtes, wonach für den Umfang des pflichtteilsrelevanten Nachlasses (Höhe des Pflichtteilsanspruchs) nicht relevant ist, ob der Nachlasswert rechnerisch dadurch herabgesetzt wurde, dass die Erbschaft mit Vermächtnissen belastet wird. Die Beklagte wurde zur Zahlung des Pflichtteils verurteilt.

 

OLG Koblenz, AZ: 12 U 107/20, Beschluss vom 03.07.2020

(Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH, AZ: IV ZR 188/20, eingelegt)

 

 

Was ist ein Pflichtteil?

Der Pflichtteil ist eine Mindestbeteiligung am Nachlass für die nächsten Angehörigen, insbesondere Kindern und Ehegatten. Der Pflichtteil wird unabhängig vom Willen des Erblassers gewährt. Ist ein Pflichtteilsberechtigter durch die Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen, so kann er vom Erben den Pflichtteil verlangen.

 

Pflichtteilsberechtigter Personenkreis:

Die Kinder und der Ehegatte oder Lebenspartner des Erblassers können pflichtteilsberechtigt sein. Enkel und Urenkel des Erblasser und die Eltern des Erblassers sind nur dann pflichtteilsberechtigt, wenn kein Abkömmling, der sie im Falle der gesetzlichen Erbfolge ausschließen würde, den Pflichtteil verlangen kann. Für Geschwister des Erblassers gibt es kein Pflichtteilsrecht.

 

 

Höhe des Pflichtteils:

Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils.

 

Berechnung des Pflichtteils:

Der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt. Bei der Ermittlung des Wertes des Nachlasses bleiben Vermächtnisse unberücksichtigt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es dem Erblasser nicht möglich sein soll, den Pflichtteilsanspruch durch Vermächtnisse zu schmälern oder gänzlich auszuhöhlen. Der Nachlass sollte im vorliegenden Fall so stark mit Vermächtnissen belastet werden, dass Pflichtteilsansprüche rechnerisch minimiert werden.